Medizinische und ökonomische Krisen gehen oftmals Hand in Hand. Das Ausmaß des wirtschaftlichen Schadens bemisst man unter anderem am rückläufigen bzw. vom Trend abweichenden volkswirtschaftlichen Wachstum. Ein ähnliches Konzept, dass der sogenannten ‚Übersterblichkeit‘, wird dazu verwendet, die über das erwartete ‚Normalmaß‘ hinausgehende Sterblichkeit zu quantifizieren. Aber Krisen wirken sich nicht nur auf unseren Wohlstand und unsere Gesundheit, sondern auch auf das Investitionsverhalten aus.
Übersterblichkeit während der Finanzkrise: Die Ergebnisse einer in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichten Studie legt nahe, dass die Finanzkrise für 260.000 zusätzliche, krebsbezogene Todesfälle in den OECD-Ländern verantwortlich war. Aber auch Herzkreislauferkrankungen sind rapide angestiegen. Im europäischen Finanzzentrum London, sind zwischen 2008-09 zusätzlich mehr als 2.000 Menschen am Herzinfarkt gestorben. Die Finanzkrise war also nicht nur eine ökonomische Krise, sondern auch eine gesundheitliche Katastrophe.
Corona als Auslöser eine ökomischen Krise: Im Unterschied zur Finanzkrise ist nun eine medizinische Krise, die Coronavirus-Pandemie, der Auslöser für eine weltweite Rezession, die nach aktuellen Schätzungen des IMF im Jahr 2020 zu einem um 3% geringeren weltweiten Bruttoinlandsprodukt führen wird. Die Finanzkrise führte im Vergleich dazu nur zu einem geringfügigen Rückgang der weltweiten Wirtschaftsleistung um 0,1%. Wie auch im Jahr 2009 werden insbesondere die wirtschaftlich starken Länder des Westens überproportional betroffen sein, währenddessen Schwellenländer (insbesondere China und Indien) nur einem begrenzten wirtschaftlichen Abschwung entgegensehen.
..und einer Beschäftigungskrise: Der starke Rückgang der Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen wirkt sich auch negativ auf die Beschäftigungssituation aus, wie es zeitnah am US-Arbeitsmarkt beobachtet werden kann. So sind die US-Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe seit dem 22. März deutlich angestiegen und haben sich in den letzten Wochen auf eine Rekordzahl von ca. 43 Millionen summiert. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres lag die Anzahl der Neuanträge bei 2,8 Millionen.
Medikamentendistribution, wie wir sie bislang kennen.
Quelle: U.S. Department of Labor, nova funds
Unsicherheit und Investitionsverhalten: Die gesundheitlichen Auswirkungen, die durch Wirtschaftskrisen und damit einhergehender Arbeitslosigkeit ausgelöst werden, sind wie eingangs beschrieben, wohl dokumentiert, aber wie wirkt sich Unsicherheit am Kapitalmarkt auf den Gesundheitszustand und die Risikobereitschaft von Investoren aus?
Der Neurologe John Coates ist in verschiedenen Studien dieser Frage nachgegangen. Er war selbst jahrelang Derivatehändler an der Wall Street und fragte sich, welchen Einfluss steigende and fallende Märkte auf das Risikoverhalten professioneller Marktteilnehmer hat (von denen man im Grunde erwarten würde, dass diese emotionslos und rational handeln). Im Rahmen verschiedener Studien wurden Händler mit Sensoren versehen, um die körpereigenen Funktionen laufend zu überwachen. Ergänzend kam es auch zu Blutentnahmen.
Bei diesen Studien stellte sich erstaunlicherweise heraus, dass sich der Körper selbständig auf eine Veränderung der Volatilität am Aktienmarkt und einer möglicherweise starken Zunahme des Informationsflusses einstellt: Über eine erhöhte Herzfrequenz, die vermehrte Produktion von Adrenalin und Kortison sowie über eine erhöhte Alarmbereitschaft des Immunsystems. Das Gehirn spielte hierbei eine untergeordnete Rolle.
Der Körper eines Investors wird automatisch in Alarmbereitschaft versetzt, unabhängig davon, ob er Geld verliert oder Geld verdient. Allein die Zunahme an neuartigen Informationen, die eine Unsicherheit / Volatilität hervorrufen, lösen diese körpereigene Reaktion aus. Normalerweise sind diese Ereignisse von kurzfristiger Natur, zum Beispiel die Veröffentlichung von Quartalsergebnisses eines Unternehmens, aber was macht der Körper, wenn er längerfristig einer immer neuen Flut an Informationen ausgesetzt wird und der oben beschriebene Zustand chronisch wird?
John Coates und seine Mitstreiter fanden in Laborstudien heraus, dass Menschen, die sich stark verändernden Stressniveaus ausgesetzt sehen und dabei hohe Mengen an Kortison produzieren, eine ausgeprägte Risikoaversion entwickeln. Übertragen auf professionelle Investoren bedeutet dieses, dass ihre zunehmende Risikoaversion Kursrückgänge stark beschleunigen und dieses Verhalten zu einem Crash führen kann. Letztendlich müssen Notenbanken mit Anlagekäufen einschreiten, um Investoren aus Ihrem ‚Dauerstresszustand‘ und ihrer Risikoaversion zu befreien, und die rückläufigen Marktentwicklungen aufzuhalten.
Fazit: Medizinische und ökomische Krisen können sich gegenseitig verstärken, unabhängig davon, was der ursprüngliche Auslöser war. Dabei setzen uns nicht nur Krankheitserreger, sondern auch ein Übermaß an neuartigen Informationen zu. Unser Investitionsverhalten verändert sich „unbewusst", wenn wir über einen längeren Zeitraum mit einer hohen Anzahl von immer neuen Informationen konfrontiert werden. Dieses macht unseres Anlageverhalten risikoavers.
Bleiben Sie gesund!