29. September 2016

Anstieg der Gesundheitsausgaben – Alter ist nicht alles

Quelle: iStock/AleksandarNakic

Der demographische Wandel, also das Wachstum und die Alterung der Weltbevölkerung, wird landläufig als ein wesentlicher Treiber für den wachsenden Kostendruck im Gesundheitswesen genannt. Da ältere Menschen (über 65 Jahre) deutlich mehr Gesundheitsprodukte und -dienstleistungen in Anspruch nehmen als jüngere, liegt dieser Gedanke nahe.

Und in der Tat belegen Zahlen der OECD aus dem Jahr 2013 (siehe folgende Graphik), dass die öffentlichen Gesundheitsausgaben in % des Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts mit zunehmendem Alter ansteigen und nach dem Erreichen des 65. Lebensjahres exponentiell wachsen. Die höchsten Gesundheitsausgaben verursachen Menschen in der Altersgruppe zwischen 85 und 89 Jahren.

Chart 1 Alterung der Bevoelkerung

Der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung wächst, bedingt durch eine steigende Lebenserwartung einerseits und eine sinkende Geburtenrate andererseits. So soll der Anteil der Über-65-jährigen in Deutschland von 21% im Jahr 2013 auf 33% im Jahr 2060 ansteigen, basierend auf Prognosen des Statistischen Bundesamtes. Einer Bevölkerungsprognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung aus dem Jahr 2012 zufolge steigt das Durchschnittsalter der Deutschen von 43 Jahre auf 47 Jahre im Jahr 2030 an. Für andere Industrienationen ergeben sich ähnliche Bilder.

Legt man also - wie bisher geschehen - bei der Prognose der Gesundheitsausgaben eines Staates ausschließlich die Alterung der Bevölkerung und die mit steigendem Alter anwachsenden Gesundheitsausgaben zu Grunde, ergibt sich die in folgender Graphik schematisch dargestellte Situation, in der die durchschnittlichen staatlichen Gesundheitsausgaben im Jahr 2060 um einen bestimmten Prozentsatz höher liegen als im Jahr 2010.

Chart 2 Alterung der Bevoelkerung

Nach OECD Berechnungen stiegen die Gesundheitsausgaben zwischen 1995 und 2009 inflationsbereinigt um 4,3% p.a. an. Die naheliegende Vermutung ist, dass der demographische Wandel in den Industrienationen substanziell zu diesem Anstieg der Gesundheitsausgaben um 4,3% p.a. beitrug.

Falsch! Denn nur 0,5% dieses jährlichen Anstiegs gehen auf das Konto des demographischen Wandels. Im Vergleich dazu haben andere, Demographie-unabhängige Faktoren viel mehr zum Anstieg der Gesundheitsausgaben in diesen 15 Jahren beigetragen, wie beispielsweise technologische Fortschritte / medizinische Innovationen, institutionelle Rahmenbedingungen und gestiegene Einkommen.

Und künftig? Wird der demographische Wandel denn in Zukunft den Anstieg der Gesundheitsausgaben maßgeblich befeuern? "Jein" lautet hier die Antwort.

Die obige Graphik unterstellt, dass der Gesundheitszustand einer jeden Altersgruppe über den gesamten, häufig sehr langen Prognosezeitraum gleichbleibt, sich also nicht bessert oder gar verschlechtert. Mit anderen Worten: In der Vergangenheit unterstellten die Prognosen implizit, dass der Gesundheitszustand eines heute 60jährigen so sein würde wie der Gesundheitszustand von 60-jährigen zum Zeitpunkt der Erstellung der Prognose – vor vielen Jahren. Diese Annahme war jedoch realitätsfern; der heutige Gesundheitszustand älterer Menschen ist wesentlich besser als der gleich alten Menschen in der Vergangenheit, und eine Fortsetzung dieser - erfreulichen - Entwicklung sollte auch für die Zukunft unterstellt werden.

Chart 3 Alterung der Bevoelkerung

Wie die voranstehende Graphik zeigt, verschiebt sich durch Berücksichtigung der Verbesserung des altersgruppenbezogenen Gesundheitszustands die Kurve der altersgruppenbezogenen Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben nach rechts. Die Phase des steilen Anstiegs der Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben beginnt also später, erreicht im Zeitverlauf aber mindestens die gleiche absolute Höhe wie zuvor. Das Ausmaß dieser (Rechts-) Verschiebung des Kostenanstiegs um einige (Lebens-) Jahre in die Zukunft wird sich unseres Erachtens weiter vergrößern, angetrieben beispielsweise auch durch HealthTech-Produkte (siehe auch: Digitale Gesundheit - Ist die Zeit gekommen?), die dazu beitragen, Gesundheit und Lebenserwartung weiter positiv zu beeinflussen.

Der demographische Wandel trägt also in der Zukunft weitaus weniger zum Anstieg der Gesundheitsausgaben bei als bisher unterstellt. Die OECD geht in ihrer Studie von 2013 davon aus, dass der demographische Effekt den Anteil der Gesundheitsausgaben am aggregierten OECD Bruttoinlandsprodukt von 5,5% auf 6,2% im Jahr 2060 ansteigen lässt. Demographie-unabhängige Faktoren tragen aber weitere 5,6% bei (unter der Annahme, dass keine Kostensparmaßnahmen ergriffen werden), wie in der folgenden Graphik schematisch dargestellt. Dieser Prognose zufolge würden im Jahr 2060 11,8% des OECD Bruttoinlandsprodukts für öffentliche Gesundheitsausgaben aufgewendet werden.

Chart 4 Alterung der Bevoelkerung

Weiterführende Literatur: (OECD 2013) Public spending on health and long-term care: a new set of projections