11. April 2017

Schokolade auf Rezept?

Quelle: iStock/AND-ONE

Ergebnisse epidemiologischer Studien lassen einen potentiellen Gesundheitsnutzen von Schokolade unter anderem in Bezug auf die Hirnleistung, den Blutdruck, die Blutgefäße und die Verminderung der Insulinresistenz bei Diabetikern vermuten. Die blutdrucksenkenden Eigenschaften sowie die protektive Wirkung auf das kardiovaskuläre System werden. auf eine positive Beeinflussung der Endothelfunktion1 (Endothel = innere Wandschicht der Blutgefäße) sowie eine erhöhte, Stickstoffmonoxid-vermittelte Vasodilatation (Gefäßerweiterung)2 zurückgeführt. Letztere stellt einen seit langem bewährten Ansatzpunkt der medikamentösen Therapie bei koronarer Herzerkrankung dar („Nitro-Spray“).

In Zusammenhang mit der Einnahme flavanolreicher Schokolade oder entsprechender Supplemente ist die Blutdrucksenkung laut einer Metaanalyse der Cochrane-Library3 zwar durchaus statistisch signifikant, aber dennoch nicht bahnbrechend. Flavanol-Dosierungen von im Mittel 545,5 mg täglich senkten den systolischen (oberen Blutdruck-) Wert durchschnittlich um 2,77 mm Hg und den diastolischen (unteren) Wert um 2,2 mm Hg. Beachtet werden sollte jedoch, dass diese Studien wegen der Verschiedenartigkeit der Studiendesigns nur eingeschränkt miteinander vergleichbar sind. Der Einsatz von Schokolade im Rahmen medizinischer Zwecke stellt daher bislang eher weniger einen Ersatz als möglicherweise eine Ergänzung der gut erprobten antihypertensiven Medikation dar.

Bezugnehmend auf Messerlis4 Ansatz belebt Schokolade des Weiteren den Geist und soll schlau machen. Doch gilt das für jede im Supermarkt erhältliche Schokolade oder haben die Schweizer vielleicht ein gut gehütetes Geheimrezept? Welche Dosierungen sind erforderlich, um dem Nobelpreis ein Stück näher zu rücken?

Insbesondere in einer alternden Gesellschaft drängen sich Fragen nach einer Verzögerung oder Vermeidung von dementiellen Entwicklungen auf. Wissenschaftliche Forschungen knüpfen daran an und konnten eine verbesserte kognitive Leistungsfähigkeit sowie eine signifikante Reduktion altersbedingter kognitiver Dysfunktion sowohl bei älteren Probanden ohne bekannte dementielle Entwicklung als auch bei denjenigen mit bereits existierender, milder kognitiver Beeinträchtigung nachweisen. Im Rahmen der beiden „CoCoA“- Studien5 6 wurde die kognitive Funktion anhand bekannter neuro-psychologischer Testverfahren (MMSE, TMT A+B, VFT) nach 8-wöchiger Flavanol-Einnahme überprüft. Die tägliche Einnahme eines hochdosierten Flavanolproduktes (993 mg Flavanole/Tag) oder eines mittelhochdosierten Flavanolproduktes (520 mg Flavanole/Tag) korrelierte mit besseren Testergebnissen im Vergleich zum niedrigdosierten Flavonolprodukt (48 mg Flavanole/Tag). Zusätzlich zur gesteigerten Gedächtnisleistung konnte eine Reduktion der Insulinresistenz dokumentiert werden, sodass ein möglicher Einfluss des Glukosestoffwechsels auf bestimmte Aspekte der Hirnalterung diskutiert wird. Ergänzend könnten direkte neuroprotektive Effekte der Flavanole und eine erhöhte Durchblutung bei verbesserter Endothelfunktion der Hirngefäße eine Rolle spielen. Der Zustand der Blutgefäße und damit die Güte der Durchblutung hat bekanntermaßen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung sowohl kardiovaskulärer (z.B. koronare Herzkrankheit) als auch zerebrovaskulärer Erkrankungen (z.B. vaskulär bedingt Demenz).

Die regelmäßige Einnahme mittelhoch- bis hochdosierter Flavanole zeigte auch in dieser Studie positive Effekte auf den Blutdruck und ergänzend auf den Lipidstoffwechsel.

Anstatt sich jedes Stück des zartschmelzenden Glücks zu verkneifen, sollte man also regelmäßig zur Schokolade greifen? Einen Haken gibt es aber doch: Dunkle Schokolade schmeckt bitter. Da gerade die Flavonoide der Schokolade ihren herben Geschmack verleihen, werden diese wertvollen Inhaltsstoffe bei der Herstellung handelsüblicher Sorten größtenteils zerstört. Selbst bei Bitterschokolade ist der Flavonoidgehalt je nach Herstellungsverfahren höchst unterschiedlich und nicht immer mit dem Kakaogehalt assoziiert. Im Rahmen einiger der genannten Studien wurde ein Kakaopulver eingesetzt, das nach einem speziellen Verfahren hergestellt wurde, bei dem die Flavanole direkt aus dem Samen der Kakaofrucht extrahiert und in höchstmöglicher Konzentration verarbeitet werden. Verschiedene Hersteller wie Mars (mit Cocoapro), Barry Callebaut (mit Acticoa) und Hershey's (in der Goodness Linie) bieten entsprechende Schokoladenprodukte an.

Wem die zu bitter sind, hat auch die Möglichkeit, auf Kapseln umzusteigen. Die bislang beschriebenen Nebenwirkungen bei regelmäßiger Einnahme beschränkten sich auf Magen- oder Verdauungsbeschwerden. Dennoch ist nicht abschließend geklärt, in welchem Ausmaß Kakao-produkte die ärztliche Therapie begleiten können. Hierzu fehlen leider bisher Langzeitstudien.

1) Buijsse B, Feskens EJ, Kok FJ, Kromhout D: Cocoa intake, blood pressure, and cardiovascular mortality: the Zutphen Elderly Study. Arch Intern Med. 2006 Feb 27;166(4):411-7
2) Heiss C, Jahn S, Taylor M, Real WM, Angeli FS, Wong ML, Amabile N, Prasad M, Rassaf T, Ottaviani JI, Mihardja S, Keen CL, Springer ML, Boyle A, Grossmann W, Glantz SA, Schroeter H, Yeghiazarians Y: Improvement of endothelial function with dietary flavanols is associated with mobilization of circulating angiogenic cells in patients with coronary artery disease. J Am Coll Cardiol. 2010 Jul 13;56(3):218-24. doi: 10.1016/j.jacc.2010.03.039
3) Ried K, Sullivan TR, Fakler P, Frank OR, Stocks NP. Effect of cocoa on blood pressure. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Aug 15;(8):CD008893. doi:10.1002/14651858.CD008893.pub2
4) vgl. Messerli FH, M.D.: Chocolate Consumption, Cognitive Function, and Nobel Laureates. N Engl J Med 2012; 367:1562-1564October 18, 2012DOI: 10.1056/NEJMon1211064; s. Gastbeitrag von Dr. med. S. Nagel im nova funds-Blog vom 22.März 2017
5) Desideri G, Kwik-Uribe C, Grassi D, Necozione S, Ghiadoni L, Mastroiacovo D, Raffaele A, Ferri L, Bocale R, Lechiara MC, et al. Benefits in cognitive function, blood pressure, and insulin resistance through cocoa flavanol consumption in elderly subjects with mild cognitive impairment: the Cocoa, Cognition, and Aging (CoCoA) Study. Hypertension 2012;60:794–801
6) Mastroiacovo D, Kwik-Uribe C, Grassi D, Necozione S, Raffaele A, Pistacchio L, Righetti R, Bocale R, Lechiara MC, Marini C, Ferri C, Desideri G. Cocoa flavanol consumption improves cognitive function, blood pressure control, and metabolic profile in elderly subjects: the Cocoa, Cognition, and Aging (CoCoA) Study—a randomized controlled trial. Am J Clin Nutr. 2015 Mar;101(3):538-48. doi: 10.3945/ajcn.114.092189