Alle Beiträge von Dr. Andreas Bischof

Orpea: Neues über die „Totengräber“

60% Kursverlust löste das Buch „Les Fossoyeurs“ (Die Totengräber) bei der französischen Altenheimbetreiberin Orpea aus. Nun gibt es Neuigkeiten.

Die französische Tageszeitung „Le Monde“ veröffentlichte im Januar vorab Auszüge des Buchs (siehe Blogartikel vom 25. Januar). Nun berichtet sie vorab aus dem noch unveröffentlichten, offiziellen Bericht der Aufsichtsbehörde und prangert sowohl Schwächen in Orpeas Organisation an, als auch in der Qualität der Pflege und hinsichtlich des Finanzgebahrens des Unternehmens.

Zu den Vorwürfen finanzieller Natur gehört unter anderem, dass von 2017-2020 ca. EUR 20 Mio. an erhaltenen staatlichen Geldern gar nicht für den Betrieb der Heime ausgegeben wurden und somit in Orpeas operativen Gewinn einflossen. Zum anderen sollen ca. EUR 51 Mio. an staatlichen Zuwendungen nicht für die Gehälter des Pflegepersonals, sondern für nicht-pflegende Hilfskräfte geflossen sein.

Zu den festgestellten Schwächen in der Pflege gehören beispielsweise eine mangelhafte Zusammensetzung der Mahlzeiten sowie ein zu großer zeitlicher Abstand zwischen diesen, eine unzureichende Kontrolle der Mundhygiene als auch eine unzuverlässige Verteilung benötigter Medikamente.

Hinsichtlich der Organisation berichtet Le Monde von einer sehr großen Zentralisierung bzw. von einer sehr geringen Autonomie der einzelnen Heime, einem sehr hohen Durchsatz an Bewohnern und von unzureichenden Fortbildungen. Die Kontinuität der Teams lässt ebenfalls zu wünschen übrig.

Orpea ihrerseits beklagt sowohl die Vorabveröffentlichung von Auszügen des Berichts vor Ende ihrer Widerspruchsfrist als auch, dass die im Artikel erwähnten Beobachtungen nicht indikativ sind für die abschließenden Schlussfolgerungen dieses Berichts.

Gleichwohl kann zur Zeit nicht ausgeschlossen werden, dass Orpea Strafzahlungen auferlegt werden, da das Unternehmen scheinbar gegen das Sozialgesetzbuch verstoßen hat.

In Summe geht Le Monde für den Zeitraum von 2017 bis 2020 von EUR 88 Mio. aus, die in zumindest fragwürdiger Weise verwendet wurden bzw. eben nicht bestimmungsgemäß verwendet wurden. Eine vergleichsweise kleine Summe im Vergleich zu den EUR 1,9 Mrd. an operativem Gewinn, die das Unternehmen in diesem Zeitraum insgesamt – also auch außerhalb Frankreichs – generiert hat.

Noch kleiner wirken diese EUR 88 Mio. im Vergleich zum vernichteten Börsenwert: So wurde Orpea vor Veröffentlichung des Buchs im Januar mit ca. EUR 5,3 Mrd. bewertet – per 23. März jedoch nur noch mit EUR 2,3 Mrd., also ca. EUR 3 Mrd. niedriger.

Berücksichtigt man zusätzlich den Wertverlust der Aktien der beiden französischen Wettbewerber Korian und LNA Santé, die seit Veröffentlichung des Besuchs jeweils ca. 30% verloren haben, so kommt man in Summe auf „völlig unbedeutende“ EUR 4,1 Mrd. an vernichtetem Börsenwert. Ein Schelm, wer denkt, dass die Börse gelegentlich übertreibt.

Der risikoaverse Gesundheitsaktienfonds nova Steady HealthCare war und ist in keine dieser drei Aktien investiert.

US Biotechfirma Helix entdeckt neue Virusvariante in 2 Amerikanern

Neue SARS-CoV-2-Variante „Deltacron“ insgesamt bei mindestens 17 Patienten in den USA und in Europa identifiziert.

 
„Deltacron“, ein Kunstwort aus „Delta“ und Omicron“, ist eine sehr sinnfällige Bezeichnung für diese neue Virusvariante, da sie sowohl Bestandteile der Delta-Variante als auch der Omicron-Variante enthält, genauer gesagt das Spike-Protein der Omicron-Variante und den Korpus der Delta-Variante.

Das US Biotechunternehmen Helix hat diese neue Virusvariante nun bei 2 Amerikanern entdeckt, wie basierend auf dem Entwurf eines entsprechenden Artikels, der noch nicht von Experten begutachtet wurde, bekannt geworden ist. Zusammen mit anderen Deltacron-Infektionen in Europa ergibt sich seit Januar eine Gesamtzahl von 17 nachgewiesenen Deltacron-Infektionen.

Bedeutet dies, dass wir von einer neuen Welle ausgehen müssen? Nein, bis auf weiteres bedeutet diese Entdeckung zunächst einmal nicht viel: Aktuell lassen sich auf Grund der sehr niedrigen Fallzahl keine Aussagen bezüglich der Infektiosität oder der Gefährlichkeit dieser neuen Virusvariante treffen. Ebensowenig läßt sich per heute vorhersagen, ob uns eine Deltacron-Welle ins Haus steht oder ob die neue Virusvariante im Großen und Ganzen wieder verschwindet, so wie dies auch bei anderen Virusvarianten in der Vergangenheit der Fall war. Die Entstehung einer neuen Variante an sich ist jedoch keine Überraschung, sondern vielmehr ein Phänomen, das durch die nach wie vor viel zu große Anzahl nicht-immuner Menschen weltweit begünstigt wird.

Pfizers USD 100.000.000.000 sind zwar nicht genug, aber Biotechs dürfen hoffen

Am 08. Februar veröffentlichte der Pharmakonzern Pfizer sowohl die Ergebnisse des Geschäftsjahres 2021, als auch den Ausblick für 2022. Während die Zahlen für 2021 im Rahmen der Erwartungen lagen, enttäuschte der Ausblick für 2022.

 

So soll Pfizers Gesamtumsatz 2022 bei USD 100 Mrd. liegen, 138% höher als im vorvergangenen Jahr 2020. Pfizers Corona-Produkte, also sowohl der Impfstoff Comirnaty als auch das Corona-Medikament Paxlovid, sollen insgesamt USD 54 Mrd. zu den USD 100 Mrd. beitragen. Doch enttäuschten diese beiden – „nicht ganz unbedeutenden“ – Summen Analysten und Investoren, woraufhin Pfizers Kurs untertägig zeitweise mehr als 6% verlor, entsprechend USD 18 Mrd. an verlorener Marktkapitalisierung. USD 18 Mrd.? Nicht viel im Vergleich zu den USD 240 Mrd. an Wertverlust, die Facebooks Mutterkonzern Meta Anfang Februar an einem einzigen Tag hinnehmen musste, mag mancher Leser da denken. Doch die Marktkapitalisierung des weltgrößten Pharmakonzerns Pfizer beträgt mit ca. USD 300 Mrd. nur ungefähr ein Drittel der von Meta.

Lässt man die Volten des Kapitalmarktes jedoch einmal beiseite, stellt sich bei Pfizer eine ganz andere Frage: Wohin mit dem Cash? Was tun mit den mehr als USD 34 Mrd., die das Unternehmen Analystenschätzungen zufolge zum Jahresende 2022 ausweisen könnte? Einen Teil der 5,6 Mrd. eigenen Aktien zurückzukaufen ist sicher ein der möglichen Verwendungszwecke. Ein weiterer ist, die Dividendenzahlungen weiter zu vergrößern. In den Jahren 2010-2021 hat Pfizer in Summe bereits immerhin über USD 95 Mrd. an seine Aktionäre ausgeschüttet.

Doch die möglicherweise beste Verwendung von Pfizers enormen Cash-Bestand ist die Akquisition von kleineren Biotechnologiefirmen, um Zugriff auf deren Produktkandidaten zu erlangen. Mittels deren Umsatzwachstum könnte Pfizer von einem „no-growth“-Unternehmen nicht nur wieder zu einem „low-growth“-Unternehmen werden, sondern gar zu einem „mid-growth“-Unternehmen. Eine durchaus beachtliche und erfreuliche Transformation für eine Pharmafirma, deren Umsatz von USD 65 Mrd. im Jahr 2010 auf ca. USD 42 Mrd. im Jahr 2020 zusammengeschrumpft ist. Und die Aktionäre der Akquisitionskandidaten aus der Biotech-Branche dürfen sich über substanzielle Akquisitionsprämien freuen. Gute Perspektiven also für Biotechfirmen und ihre Aktionäre.

US Lohninflation – welche Sektoren trifft sie nicht?

Seit einigen Monaten steigen Preise und Löhne wie seit vielen Jahren nicht mehr, insbesondere in den USA. Anlass genug, einmal die Personalintensität der Börsensektoren zu beleuchten.

Natürlich unterscheiden sich die Personalintensitäten verschiedener Geschäftsmodelle auch innerhalb eines Sektors mitunter deutlich voneinander. Ein Vergleich auf Sektorebene liefert vor allem eine erste, grobe Orientierung.

Dies vorweggeschickt zeigt die folgende Infographik, wie viele Mitarbeiter in einem Sektor benötigt werden, um 1 USD an EBITDA zu erwirtschaften. Die Auswertung basiert auf Daten aus dem Vor-Coronajahr 2019, um etwaige, pandemiebedingte Verzerrungen auszuschließen.

Quelle: Refinitiv, nova funds. Basierend auf Daten von über 2.000 US Firmen mit einer Marktkapitalisierung von USD 1 Mrd. und mehr.

Am wenigstens personalintensiv und somit am wenigsten der Lohninflation ausgesetzt ist das EBITDA des Energiesektors, in dem nur ein „Hundertstel Mitarbeiter“ benötigt wird, um 1 USD an EBITDA zu generieren. Am anderen Ende des Spektrums finden sich die Konsumgüterhersteller, die ca. „1/33 Mitarbeiter“ für 1 USD an EBITDA benötigen.

Der Mittelwert aller Börsensektoren liegt bei 0,014 Mitarbeitern pro 1 USD an EBITDA. Mit nur 0,011 Mitarbeitern pro 1 USD an EBITDA ist der Gesundheitssektor unterdurchschnittlich personalintensiv, wobei auch im Gesundheitssektor die Spanne zwischen sehr personalintensiven und weniger personalintensiven Geschäftsmodellen sehr groß ist. Ein genauerer Blick ist also in jedem Fall erforderlich.

Altenheimbetreiber Orpea ein Totengräber? Aktie vom Handel ausgesetzt.

„Les fossoyeurs“ („Die Totengräber“) lautet das 388 Seiten starke Buch des französischen Journalisten Victor Castanet, das am 26. Januar erscheinen wird. Im Buch prangert Autor Castanet die mangelhafte Behandlung der Bewohner in einem Altenheim in einem Vorort von Paris an.

Auszüge dieses Buchs hat die Zeitung „Le Monde“ am Montag veröffentlicht, woraufhin Orpea-Aktien ca. 16% verloren, die schlechteste untertägige Kursentwicklung Orpeas seit Börsengang. Um 11:45 wurde die Aktie dann vom Handel ausgesetzt, welches bei Veröffentlichung dieses Artikels immer noch der Fall war (25.01.2022 mittags). Die Aktien der Wettbewerberin Korian wurden nicht vom Handel ausgesetzt und schlossen am Montag mit einem Verlust von ca. 15%.

Die französische Orpea S.A. ist eine der größten kommerziellen Betreiberinnen von Pflege- und Altenheimen Europas. Das Unternehmen, das 2022 einen Umsatz von über EUR 4,2 Mrd. erwartet, unterhält 1156 Einrichtungen mit über 90.000 Betten in 23 Ländern Europas, Asiens und Latein Amerikas.

Orpea weist sämtliche Anschuldigungen des Buchs zurück und will mit allen juristischen Mitteln dagegen vorgehen.

Quick take: Das Buch bezieht sich auf eine einzige von über 1156 Einrichtungen Orpeas. Selbst, wenn sich die geäußerten Anschuldigungen als wahr herausstellen sollten, scheint das Ausmaß des faktischen Problems somit aus heutiger Sicht begrenzt. Ganz und gar nicht begrenzt hingegen ist der Rufschaden, der Orpea durch diese Veröffentlichung entstehen und in reduzierten Umsätzen resultieren könnte. In jedem Fall wurden am Montag schon einmal EUR 1,3 Mrd. von Orpeas Börsenwert vernichtet. Der Fonds nova Steady HealthCare war am 24.01.2022 nicht in Orpea investiert.

Valneva die nächste BioNTech?

Bekommen BioNTechs und Modernas Corona-Impfstoffe nun Konkurrenz durch andere Impfstoffe?

Während BioNTechs und Modernas Corona-Impfstoffe Comirnaty und Spikevax beide der neuen Klasse der RNA-Impfstoffe angehören, existieren grundsätzlich weitere Impfstoffklassen, aus denen zusätzliche Corona-Virus-Impfstoffe hervorgehen könnten. Genannt seien hier die Klasse der proteinbasierten Impfstoffe, die Klasse der attenuierten (=abgeschwächten) Lebendimpfstoffe sowie die Klasse der Totimpfstoffe.

Aus der Klasse der Totimpfstoffe gibt es nun positive Neuigkeiten: Das französisch-österreichische Biotechnologieunternehmen Valneva hat kürzlich Labordaten zur Wirksamkeit seines Corona-Impfstoffkandidaten VLA2001 veröffentlicht. Basierend auf diesen Daten neutralisiert eine dreimalige Impfung mit VLA2001 die Omikron-Variante zu 87%. Außerdem schützt VLA2001 sowohl gegen den Wildtyp des Virus als auch gegen die Delta-Variante, wie jüngste Phase 3-Studien zeigen.

Der Impfstoff ist allerdings bisher noch nicht erhältlich, weil noch nicht zugelassen. Dies sollte sich jedoch bald ändern, so zumindest die Erwartung des Unternehmens, das die Zulassung durch die europäische Zulassungsbehörde EMA für das 1. Quartal dieses Jahres und erste Auslieferungen für den April erwartet.

Valneva-Aktien haben sich von ihrem Tiefstand bei ca. EUR 2 im März 2020 zwischenzeitlich auf ca. EUR 14 versiebenfacht, somit wird das Unternehmen an der Börse aktuell mit ca. EUR 1,4 Mrd. bewertet. BioNTechs Marktkapitalisierung hingegen liegt bei ca. EUR 35 Mrd., das Unternehmen soll 2022 jedoch einen Umsatz von EUR 13 – 17 Mrd. generieren, im Unterschied zu ca. EUR 337 Mio. im Fall von Valneva, so zumindest die Erwartungen der Analysten.

Ganz gleich, wie man als Anleger zu einem Investment in Valneva steht: Gut wäre in jedem Fall, wenn der Werkzeugkasten im Kampf gegen diese unsägliche Pandemie in Kürze um ein Instrument reicher würde.